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Fahrradpedal fürs 21. Jahrhundert

Die Technologie von SmartFaraday liefert vielfältige Daten und stellt Diebe

Mit seinen Sensoren zeichnet das intelligente Pedal von SmartFaraday Daten wie Trittfrequenz, geographische Höhe und Beschleunigung auf. Radlerinnen und Radler erhalten dadurch Informationen über ihre Routen, körperlichen Leistungen oder die Einsparung von Kohlenstoffdioxid (CO2) gegenüber Autos. Zudem warnt das Pedal bei Diebstählen und Notfällen.

900 Fahrräder mopsen Diebinnen und Diebe in Deutschland täglich. „Mir wurde erst vor wenigen Wochen eins gestohlen“, sagt David Stork. Der Student am Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg gehört zum Team von SmartFaraday. Das Quartett entwickelt ein energieautarkes, intelligentes Pedal, das mehr kann, als Beinkraft in Vortrieb umzuwandeln: Es liefert Daten zur Trittfrequenz, Leistung, Klimafreundlichkeit, Sprungdauer, Position, Route oder zum Höhenprofil. Radlerinnen und Radler können sich ihre Fahrdaten auf Smartphones oder Fahrradcomputern anschauen – in Echtzeit oder nachträglich. Nicht zuletzt soll das Pedal Alarm schlagen, wenn Fahrraddiebe am Werk sind oder Notfälle eintreten. „SmartFaraday bringt das Fahrrad ins 21. Jahrhundert“, sagt Storks Kollege Konstantin Hoffmann.

„Wir sind erst im Begriff, ein Start-up zu gründen“, sagt Stork. Noch ist SmartFaraday ein studentisches Projekt. In einer Vorlesung des Studiengangs Mikrosystemtechnik sollten Studierende Ideen für Produkte finden, die energieautark sind und maximal 100 Euro in der Herstellung kosten. Die Leidenschaft fürs Radfahren brachte das Projekt ins Rollen, auf dessen Basis Stork später die Idee mit dem smarten Pedal entwickelte: „Ich habe sie privat vorangetrieben.“ Sein Kommilitone Hoffmann war begeistert und stieg als zweiter ein. In ihren Freundeskreisen fanden sie weitere Verstärkung: Dominik Leclerc, der Embedded Systems Engineering studiert, steuert heute seine Programmierfähigkeiten bei, Wirtschaftsstudentin Ann-Kathrin Leiting ihr Wissen um Finanzen und Märkte.

SmartFaraday_Pedal

Das Pedal von SmartFaraday soll sich für alle Räder eignen. In seinem Inneren befinden sich ein kleiner Generator sowie eine Platine mit Sensoren, die Messdaten erheben. Fotos: Thomas Kunz

Beinkraft als einzige Energiequelle

Pedal-Prototypen sollen schon bald Tests auf der Straße bestehen. Sie müssen am Fahrrad beweisen, dass sie zuverlässig arbeiten und ruppige Schütteltouren unbeeindruckt wegstecken. In ihrem Inneren ist ein kleiner Generator verbaut. Den Pedalen dienen Radlerbeine als einzige Energiequelle. „Der Tretwiderstand erhöht sich nur unmerklich“, betont Hoffmann. Vom Generator laufen kleine Kabel zu einer Platine, die mit Sensoren bestückt ist. Diese messen etwa den Druck auf der Trittfläche, die Beschleunigung oder – anhand des Luftdrucks – die geographische Höhe. Aus den Daten lassen sich Werte wie Trittfrequenz, Steigleistung, Flugzeiten bei Sprüngen, Kalorienverbrauch oder CO2-Ersparnis gegenüber Autos errechnen. Via GPS erhält das Pedal zudem Informationen über die aktuelle Position, Strecken, Kilometerzahlen und Durchschnittsgeschwindigkeit. „Die Nutzerinnen und Nutzer wählen selbst, welche Informationen sie sich anschauen wollen“, erklärt Hoffmann die Grundidee. Das Pedal soll sich für alle Räder eignen, seine Features möglichst für alle Radler-Typen.

Wachsam und clever

An einigen Funktionen feilt SmartFaraday noch. „Wie etwa der Diebstahlschutz aussehen wird, ist nicht bis ins Detail geklärt“, sagt Stork. Woher weiß ein Rad überhaupt, dass es geklaut wird? „Es merkt, wenn seine Besitzerin oder sein Besitzer weg ist.“ erklärt er. Die Eigentümerin oder der Eigentümer kommuniziert mit dem Pedal per Smartphone und Bluetooth. Dabei nimmt die Stärke der Signale mit der Entfernung schnell ab. So und an anderen Auffälligkeiten können clevere Drahtesel erkennen, ob sich gerade ihr Frauchen oder Herrchen an ihnen zu schaffen macht oder dreiste Langfinger. Sind es Letztere, geht ein Alarm ans Handy der Besitzer oder frischen Ex-Besitzer.

Meist sind Beklaute zu weit weg, um Diebe noch zu stoppen. Mithilfe der Polizei kehrt nur eins von 13 gestohlenen Fahrrädern zurück. Möglicherweise verbessern SmartFaraday-Pedale die Rate: Mit ihnen lässt sich verfolgen, wohin Fahrraddiebe ihre Beute entführen. „Vielleicht schließen unsere Pedale auch Räder automatisch ab, sobald die Besitzer weggehen“, überlegt Stork. Mit elektronischen Wegfahrsperren wäre das machbar. „Ebenso könnten wir kleine Lautsprecher einbauen“, sinniert er weiter. Das smarte Pedal würde laut aufheulen, sobald sich Räder in Abwesenheit ihrer Besitzer bewegen.

Notfälle haben typische Bewegungsmuster

Drohen künftig Heulkonzerte, wenn Windstöße Räder umlegen? „Nein“, beteuert Hoffmann: „Unser Pedal unterscheidet, ob Fahrräder umfallen oder bewegt werden.“ Alle Daten wandern zuerst zur Analyse in die Cloud: Bewegungsmuster verraten, ob eine Böe oder Diebeshand die Ursache war. Sie enthüllen auch, wann und für wie lange Radler abheben. „Am Boden sorgt die Oberfläche für kleine Vibrationen, die im Sprung fehlen.“ Ähnlich verraten typische Muster, ob Radler pausieren oder ob Notfälle vorliegen. In letzterem Fall erhalten Vertrauenspersonen eine Nachricht. Sie können Verunglückte anrufen und bei schweren Stürzen die Rettungsdienste präzise anleiten: Das kluge Pedal sendet mit einer speziellen Funktechnik von besonders hoher Reichweite auch die Koordinaten des Unfallorts.

„Allein die Kundinnen und Kunden entscheiden, welche Daten wo und wie gespeichert, analysiert oder öffentlich werden“, versichert Hoffmann. Um Sicherheit, Analyse und Infrastruktur der Daten in der Cloud zu optimieren, will SmartFaraday Fachleute einstellen. Das kostet ebenso Geld wie die angestrebte Patentierung. Darum hat sich die Gruppe für mehrere Förderprogramme beworben. „Wenn die Finanzierung steht und nichts Unvorhersehbares dazwischenkommt, wollen wir Ende 2018 auf den Markt.“

Fahrrad-Hightech „Made in Freiburg“

Das Konzept jedenfalls zieht: Ende 2017 hat SmartFaraday sowohl den ersten Preis beim bundesweiten COSIMA-Wettbewerb für Einsatzmöglichkeiten von Mikrosystemen gewonnen als auch den Publikumspreis beim Businessplan-Wettbewerb Startinsland, den das Gründerbüro der Universität Freiburg mitveranstaltet und begleitet. „Davor wusste ich nichts über Businesspläne“, sagt Stork. Gerne hätten er und Hoffmann im Studium mehr dazu erfahren, wie man Start-ups gründet. „Unsere Dozentinnen und Dozenten haben uns darauf kaum Lust gemacht“, bedauert Hoffmann. Womöglich fehle die Wertschätzung: „Bei uns sollen Topkräfte nach dem Studium am besten in die Wissenschaft.“ Andererseits loben Hoffmann und Stork das Gründerbüro in höchsten Tönen. Die Universität stehe grundsätzlich hinter Ausgründungen. Freistellung von Studienveranstaltungen? Null Problem, finden beide: „An der Universität wird nie ‚nein’ gesagt.“

Am Ende schwebt Konstantin Hoffmann ein Pedal „Made in Freiburg“ vor: „Wir wollen die Einzelteile, die wir verbauen, in der Stadt oder Region einkaufen.“ Da gebe es viel Know-how, Interesse an Fahrrädern und ihrer Technik. Auch Umwelt- und Klimaschutz sind hier Themen. „Unser Pedal kann angeben, wie viel CO2 Autos auf der gleichen Strecke ausgestoßen hätten“, sagt Stork. Der Wert soll Radler im Alltag spielerisch für Klimaschutz sensibilisieren und sie motivieren, hofft David Stork: „Fahrradfahrer können jeden Monat leicht Kilobeträge an CO2 einsparen.“

Jürgen Schickinger

Foto: Konstantin Hoffmann (links) und David Stork wollen ihre Technologie schon bald auf den Markt bringen. Foto: Thomas Kunz